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Ethische Dimension der Drohnenfrage

Schwierigkeiten mit der Rechtfertigung

Seitdem Bundesverteidigungsminister Thomas de Mazière den Ausstieg aus dem "Euro-Hawk"-Programm verkündete, hört die Debatte in Politik und Medien nicht mehr auf. Dabei drängt sich unter der Oberfläche an Frage auf: Was passiert, wenn der Mensch in einem Bereich, in dem es um Leben und Tod geht, elementare Aufgaben an Hightech-Systeme delegiert.

Franz-Josef Overbeck14.06.2013

Nicht nur in Deutschland wird über Entwicklung, Anschaffung und Einsatz von bewaffneten Drohnen diskutiert. Insbesondere in den Vereinigten Staaten tobt der politische Streit über die Drohneneinsätze. Er dreht sich in besonderer Weise um das Töten von US-amerikanischen Staatsbürgern, um Drohneneinsätze auf US-amerikanischem Gebiet und um die Herausgabe von CIA-Akten und weiteren Informationen, die schon erfolgte Drohnenschläge betreffen.

Mittlerweile hat die Debatte auch bei uns Fahrt aufgenommen, seit bekannt geworden ist, dass sich das Bundesministerium der Verteidigung nach dem Auslaufen der Leasing-Verträge für israelische Heron-Aufklärungsdrohnen um die dauerhafte Anschaffung eigener bewaffnungsfähiger unbemannter Flugzeuge bemüht und seit den Fragen um das Scheitern anderer Drohnenprojekte. Ich bin froh darüber, dass die ethische Debatte bei uns mit größerer Besonnenheit geführt wird, glaube aber auch, dass wir als Christen in einer besonderen Pflicht stehen, uns mit den ethischen Schwierigkeiten des Drohneneinsatzes auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Kommission Justitia et Pax, Bischof Dr. Stephan Ackermann, habe ich schon am 5. Februar 2013 eine Erklärung herausgegeben, die einige Sorgen und Bedenken hinsichtlich und anlässlich dieser Überlegungen artikuliert und eine breite öffentliche Debatte einfordert.

Wir sehen die Kernfrage für eine christliche Ethik darin, wie sich diese neue Art der Bewaffnung und die mit ihr verbundenen Weisen des militärischen Einsatzes auf das Ziel der Gewaltminimierung auswirken. Die Bundesregierung betont, dass sie bewaffnete Drohnen, die oft auch als „Kampfdrohnen“ bezeichnet werden, nicht wie die Vereinigten Staaten zu sogenannten „gezielten Tötungen“ in einem globalen Krieg gegen den Terrorismus verwenden will, sondern dass sie eine militärisch zweckmäßige Ergänzung des Waffenarsenals darstellen. In besonderen militärischen Situationen kann, so die Befürworter des Drohnenkaufs, der Einsatz dieser Instrumente sinnvoll und sogar dringlich sein, da sie für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ein geringeres Risiko, selber geschädigt zu werden, bedeuten.

Mir ist die Bedeutung dieses Arguments für die Soldaten und ihre Familien bewusst. Aus ethischer Perspektive heraus ist aber zu betonen, dass die einseitige Verbesserung von Schutz noch nicht ausreicht, um einen Drohneneinsatz zu rechtfertigen. Ethik versucht einen Standpunkt jenseits der je einseitigen Standpunkte einzunehmen, und das heißt in diesem Fall, auch den Preis einzubeziehen, den der Schutz auf der einen Seite möglicherweise auf einer anderen Seite bedeuten könnte. Man muss hier ein „möglicherweise“ einfügen, da die Wirkungen von Drohneneinsätzen auf Soldatinnen und Soldaten der einsetzenden Konfliktpartei und auf die gegnerischen Kämpfer, aber auch auf Zivilisten noch nicht ausreichend empirisch untersucht worden sind. Gerade darum ist es aber sinnvoll, einige kritische Fragen in den Raum zu stellen:

Gewaltminimierung

Ein erster Fragekomplex betrifft die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden: Senkt der Einsatz von Drohnen die politischen und mentalen Schwellen zur Gewaltanwendung? Je nachdem, wie diese Antwort ausfällt, ist zu fragen, welche Konsequenzen aus der Antwort auf die Militär- und Sicherheitspolitik gezogen werden können. Falls der Einsatz die politischen und mentalen Schwellen zur Gewaltabwendung absenkt, ist zu fragen, ob es geeignete Vorkehrungen gibt, diesen Effekt einzudämmen oder ganz zu beseitigen.

Das Leben des Anderen

Ein weiterer Fragekomplex betrifft den Schutz am Konflikt unbeteiligter Personen: Kann zwischen Kämpfenden und unbeteiligten Zivilisten hinreichend unterschieden werden? Wie können die Informationen, die zur Beantwortung der ersten Frage nötig sind, mit der entsprechenden Sorgfalt gewonnen werden? Welche Abwägungsregeln sind zu beachten, wenn der berechtigte Anspruch auf Schutz der eigenen Soldatinnen und Soldaten in Konflikt gerät mit dem ebenfalls berechtigten Ansprüchen auf Schutz von Zivilisten? Damit in Zusammenhang steht die Frage, wie man es Soldatinnen und Soldaten erklärt, dass ihr äußerst anspruchsvoller Beruf unter Umständen eine solche Übernahme von Risiken zugunsten anderer Personen beinhaltet.

Ein dritter wichtiger Fragenkomplex betrifft den Umgang mit dem militärischen Gegner: Auch das Leben derer, die bekämpft werden, ist nach Möglichkeit zu schonen. Aus christlicher Sicht ist dies eine Forderung, die sich aus der Würde jedes Menschen als Geschöpf Gottes ergibt. Kann aber ein Angriff mit einer Kampfdrohne überhaupt das Leben verschonen? Damit in Zusammenhang steht das Problem, dass Drohnenangriffe eine Gefangennahme ausschließen. Auch wenn dies bereits bei Angriffen von Jagdbombern der Fall ist, so ist die ethische Frage dennoch nicht irrelevant. Möglicherweise müssen wir an dieser Stelle eine bislang nichtgeführte Debatte nachholen. Weiterhin sind besonders kritische Fragen im Hinblick auf die Zielauswahl zu stellen: In welchen Situationen darf man einen Drohnenschlag für angemessen erachten? Die Praxis des „gezielten Tötens“, die in der Tat eine Art Vollzug der Todesstrafe ohne vorausgehenden ordentlichen Prozess darstellt, muss auf jeden Fall ausgeschlossen bleiben.

Ein vierter Fragenkomplex betrifft die strategische Ausrichtung der Bundeswehr: Wie fügen sich Drohnen in die gesamtstrategische Ausrichtung der Bundeswehr als Einsatzarmee ein? Sind Drohneneinsätze nicht gerade im Hinblick auf das Ziel, die „Herzen und Köpfe“ der Zivilbevölkerung in den Einsatzgebieten für sich zu gewinnen, kontraproduktiv? Werden Drohnen nicht viel eher als Manifestation westlicher Überlegenheit betrachtet? Der letzte Fragenkomplex, der hier angesprochen werden soll, betrifft die globale Situation: Besteht nicht die große Gefahr eines erneuten Wettrüstens im Bereich unbemannter Luftfahrzeuge? Besteht nicht die Gefahr, dass die zunehmende Produktion von Kampfdrohnen auch dazu führen wird, dass nicht-staatliche Akteure in ihren Besitz gelangen und sie skrupellos anwenden? In unserem gemeinsamen Papier haben Bischof Dr. Ackermann und ich eine Erfahrung des Ost-West-Konflikts in Erinnerung gerufen: „Es war allzu häufig nicht die strategische Planung, die die Entwicklung, Herstellung und Beschaffung von Waffen bestimmte, sondern umgekehrt war es die technische Entwicklung, die die Strategie bestimmte – mit gefährlichen Konsequenzen für die Stabilität der Abschreckung.

Daher muss heute gefragt werden, in welche übergreifende politische und militärische Strategie mit welchen Zielsetzungen Drohnen eingebunden sind, so dass ihre Beschaffung heute als geboten erscheint?“ Die Debatte muss sachlich, aber auch sorgfältig geführt werden. Wir als Katholische Kirche in Deutschland versuchen unseren Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen zu leisten. Mit der Unterstützung der Katholischen Friedensstiftung arbeitet man am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg wissenschaftlich an Fragen von Ethik im militärischen Einsatz und Fortentwicklung des humanitären Völkerrechts. Diese Fragen sind umso dringlicher, als der nächste Innovationsschub bei den Waffensystem bereits im Raum steht: Noch diskutieren wir Kampfdrohnen vor dem Hintergrund, dass menschliche Bediener in Bodenstationen die Entscheidungen über Zielauswahl und über den Abschuss von Raketen treffen. Militärische Planer in anderen Ländern stellen aber bereits automatisierte Abläufe zur Zielerfassung und zum Abschuss in den Raum. Diese Entwicklungen werden das Konfliktbild der Zukunft radikal verändern. Als Christen müssen wir diese Veränderungen aufmerksam und kritisch mitbegleiten.