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Einig oder ohnmächtig

Die gemischte Bilanz von Catherine Ashton

Der Anschluss der Krim an Russland hat gezeigt, dass die Europäische Union gegenwärtig kaum in der Lage ist, auf eine ernste äußere Krise entschieden zu reagieren. Gleiches gilt für die Flüchtlingswelle aus Afrika oder den Bürgerkrieg in Syrien. Die Beiträge auf den folgenden Seiten widmen sich der Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Sie erörtern, wie diese aussehen könnte und welche Voraussetzungen dabei eine Rolle spielen. Nicht zuletzt hinterfragen sie, ob Deutschland, von dem in jüngster Zeit immer wieder Führung verlangt wird, dazu bereit ist, seine Aufgaben zu erfüllen.

Henning Riecke15.04.2014

Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament und der Neubestimmung des Präsidenten der EU-Kommission wird eine weitere Personalie die europäischen Schlagzeilen beschäftigen. Wer wird der neue Hohe Vertreter für die europäische Außenpolitik? Baroness Catherine Ashton, die diesen Posten zurzeit innehat, hat angekündigt, keine zweite Amtszeit antreten zu wollen. Die Entscheidung über die Nachfolge muss erst Ende Dezember 2014 getroffen werden, deshalb halten sich andere Kandidaten noch zurück.

Die Arbeit als Außenbeauftragte der EU ist kein Zuckerschlecken. Ashton vertritt die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Sie selbst hat die Belastung durch die vielen Reisen beklagt. Ebenso anstrengend dürfte die vielfältige Kritik an ihrer Amtsführung und an der öffentlichen Darstellung der europäischen Außenpolitik gewesen sein. Zu einem guten Teil sind Schwierigkeiten aber hausgemacht. Jeder Nachfolger wird mit der Koordinierung der widersprüchlichen Interessen der europäischen Organe und dem fehlenden Einsatzwillen der Mitglieder seine Not haben.

Zwischen Brüssel und den Mitgliedstaaten

Ashton hatte Ende 2009 eigentlich einen hoffnungsvollen Start. Über Jahre war an dem Mandat für den Hohen Vertreter gefeilt worden. Die ursprüngliche Idee im Verfassungsentwurf von 2003, einen Außenminister der EU einzusetzen, war am politischen Widerstand der Gegner einer staatengleichen Union gescheitert: Zu sehr erinnerte eine solche Bezeichnung an die traditionelle Regierung, was vor allem die Briten nicht für die EU im Sinn haben. Die wichtigste Funktion der Hohen Vertreterin war es, die Konflikte zwischen den mit Außenpolitik betrauten EU-Organen zu überbrücken. Die traditionellen Instrumente der Kommissionsarbeit, die auch Entwicklungshilfe und Außenwirtschaft betreibt, zielen auf die langfristige Veränderung des politischen Umfeldes der EU. Auch bei der Geldvergabe sind lange Zeithorizonte vorgegeben. Die neuen Elemente der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, die zwischen den Mitgliedsstaaten organisiert wird, zielen dagegen eher auf kurzfristiges Krisenmanagement. Die organisatorischen Kulturen dieser beiden Bereiche gerieten in den ersten Jahren immer wieder aneinander.

Die Hohe Vertreterin sollte hier eine Brücke schlagen. Sie ist sowohl erste Stellvertretende Präsidentin der Kommission, mit einem umfassenden Portfolio von außenpolitischen Instrumenten, als auch dem Rat der EU verantwortlich, als Vorsitzende der außenpolitischen Ratsformation. Ein Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) ist ihr zur Unterstützung an die Seite gestellt.

Hier schon ist eines der ersten eingebauten Probleme ihrer Position erkennbar. Während sie die EU-Außenpolitik intern koordinieren und führen muss, soll sie natürlich diese Außenpolitik auch auf der internationalen Bühne vertreten. Den schwersten Teil ihrer Arbeit muss sie aber in Brüssel und im Zusammenspiel mit den Unionsstaaten vollziehen. Die Grabenkämpfe über die Ausgestaltung des EAD zwangen sie mindestens in den ersten zwei Jahren ihrer Amtszeit, ihre Schwerpunkte nicht auf die Außenpolitik, sondern auf den Aufbau neuer Institutionen zu legen.

Und nicht nur mit den Brüsseler Organen muss Ashton zurechtkommen, vor allem muss sie in den Hauptstädten für eine geschlossene und handlungsfähige europäische Außenpolitik werben. Dabei soll sie aber nicht zu viel politischen Schub aufbauen: Ihr Amt wurde allein durch ihre Besetzung zurechtgestutzt. Die großen Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, zielten darauf ab, eine Hohe Vertreterin einzusetzen, die weder außenpolitische Erfahrung, noch politisches Gewicht in die Waagschale werfen konnte. Andere Kandidaten, wie Tony Bair oder Romano Prodi fielen deshalb durch. Eindeutig sollte die neue Außenbeauftragte die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union nicht an die Wand spielen. Auch der Präsident des Rates, der Belgier Herman van Rompuy, kam damals eher aus der zweiten politischen Linie. In einem Interview mit einem US-Nachrichtenmagazin gab Ashton anlässlich Ihrer ersten 100 Tage als Motto aus: „Das Rampenlicht interessiert mich nicht“. Für jemanden, der Sichtbarkeit nach innen und außen herstellen soll, genügt dies wohl nicht.

Kritik am Auswärtigen Dienst

Nicht lange hat es dann gedauert, bis die Amtsführung der Hohen Vertreterin auf Kritik stieß. Die Mitgliedstaaten beschwerten sich, dass Sie bei der Ausrichtung des EAD draußen vorgelassen würden und die Kommission sich zu viel Einfluss gesichert habe. Auch beschwerten sich kleinere Mitgliedstaaten, dass sich die großen die besten Posten im EAD gesichert hätten. Der Dienst besteht aus 3.600 Diplomaten und 4000 Mitarbeitern. 60 Prozent dieses Personals sollen aus der EU-Kommission und dem Ratssekretariat kommen, mindestens ein Drittel aus den Mitgliedstaaten. Der EAD übernimmt die 136 Delegationen der EU in Drittstaaten und internationalen Organisationen und verfügt über ein jährliches Budget von 460 Mio. Euro. Der EAD ist also ein wichtiges Hilfsmittel, bleibt aber aufgrund der internen Spannungen hinter den Erwartungen zurück. Ein Bericht Ashtons im Juni empfahl zahlreiche Maßnahmen zur besseren internen Kommunikation und der Stärkung der EAD gegenüber der Kommission.

Besonders schmerzlich ist, gerade mit Blick auf die Krisen in der östlichen und südlichen Nachbarschaft der europäischen Union, dass das Instrumentarium der Europäischen Nachbarschaftspolitik aus dem Werkzeugkasten des EAD herausgehalten wurde, ebenso wie die Erweiterungspolitik und die Entwicklungshilfe. Ashton hat aber die Aufsicht über zahlreiche, zumeist zivile EU-Missionen und erarbeitet Regionalstrategien wie etwa für die EU-Politik in der Sahelzone.

Sieht man auf die Krisen in Europas Nachbarschaft und die Rolle der EU bei ihrer Lösung, ist Ashtons Bilanz durchwachsen. Nur wenige Beobachter konnten die dynamische und gewalttätige Entwicklung der Rebellion im arabischen Raum vorhersehen, auch nicht sie. Eine größere Präsenz der Europäischen Union in den Konflikten von Tunesien bis Ägypten wäre aber wünschenswert gewesen. Die Europäische Union hat ein wenig Unterstützung für die syrischen Flüchtlinge geleistet, jedoch im Management dieses Konfliktes nichts bewirken können. Immerhin war Ashton die einzige, die den in Ägypten gestürzten Präsidenten Mursi im Gefängnis besuchen konnte. Damit verband sich jedoch wenig politischer Einfluss auf die Entwicklung in der jüngsten Putschphase am Nil. Der Grund für die bescheidene Rolle der EU in diesem Konflikt ist natürlich die Sorge der Mitgliedstaaten, wieder in eine langjährige zivil-militärische Aufbauverpflichtung gezogen zu werden, wie man sie in Afghanistan gerade hinter sich zu bringen versucht.

Durchwachsene Bilanz

Bei der Ukraine ging es um ein Kooperationsabkommen, in dem die EU-Kommission Hauptverhandlerin war. Mit einer Aggression wie der russischen Annexion der Krim kann die EU aber nicht militärisch umgehen. Insofern ist es kein Wunder, dass Ashton auch in dieser schwierigsten Krise der Zeit nach dem Kalten Krieg in Europa nicht zum Gesicht der EU wurde – eher waren dies war Wirtschaftskommissar Olli Rehn oder der Ausschussvorsitzende Elmar Brok aus dem Europäischen Parlament.

In anderen Konflikten konnte Ashton eine wichtige Rolle spielen. So hat sie den Gesprächsfaden zwischen Serbien und dem Kosovo gespannt. Im April letzten Jahres war nach einer langen Phase stiller, aber leidenschaftlicher Diplomatie ein Abkommen über die Normalisierungen der Beziehungen und die Autonomie der serbischen Nordprovinz im Kosovo gelungen. Ausschlaggebend war dafür natürlich die Aussicht auf Beitrittsverhandlungen für Serbien und ein Stabilisierungsabkommen der EU mit dem Kosovo – aber auch die hartnäckige Verhandlungsführung der Hohen Beauftragten. Bis zum Ende ihrer Amtszeit bemüht sich Ashton um ein weiteres Abkommen der beiden Kontrahenten.

Als Vermittlerin in den Gesprächen mit dem Iran ist sie zentral an der Lösung eines der schwierigsten Konflikte im Mittleren Osten beteiligt. Hierbei moderiert sie die komplizierten Gesprächsrunden zwischen der neuen iranischen Regierung und den UN-Vetomächten USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien sowie Deutschland. Die EU ist ein wichtiger Handelspartner des Iran, der mit harten Sanktionen – wie einem Ölembargo – die iranische Wirtschaft unter Druck gesetzt hat. Mit diesem Pfund kann natürlich die europäische Außenbeauftragte nicht wuchern, denn die Entscheidung über die Aussetzung wirtschaftlicher Strafmaßnahmen kann nicht ohne die Mitgliedstaaten getroffen werden. Trotzdem zeigt sich die EU auch bei diesen Verhandlungen als außenpolitischer Akteur.

Der Blick auf Ashtons Handlungsspielraum zeigt, dass die europäische Außenpolitik genauso stark ist wie die Mitgliedstaaten sie haben wollen. Die Bereitschaft zu Sanktionen und Strafmaßnahmen, die Bereitschaft zur Belohnung mit Kooperation und Beteiligung am Markt liegt ebenso in den Händen der Mitglieder wie die inzwischen aus der Mode gekommene Beitrittspolitik gegenüber osteuropäischen Nachbarn. All diese Instrumente entfalten aber eine große Hebelwirkung, die sich auch Ashton und ihre Nachfolger zu Nutze machen könnten. Blickt man auf die eingebauten Schwierigkeiten der Hohen Vertreterin und ihres Apparates ist es vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass sich wenige Kandidaten aus der hohen Politik auf diesen Posten drängen.

Europas Weg zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik:
1954
Die Europäische Kommission hatte zwar einen Kommissar für Außenbeziehungen und richtete 1954 auch Auslandsvertretungen, die sogenannten Delegationen, ein; eine Koordination mit den Außenministerien der Mitgliedstaaten erfolgte jedoch nicht. Statt der militärischen Integration wurde 1955 zwischen den sechs EGKS-Staaten und Großbritannien die Westeuropäische Union (WEU) gegründet, ein kollektiver Beistandspakt, der jedoch keine gemeinsamen Verteidigungs­strukturen vorsah.