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Der kleine Unterschied: Fremd- und Selbstwahrnehmung ds sogenannten Adels

Über Ehre, Haltung und andere Tugenden

Anna von Bayern27.04.2011

Adel kann man riechen. Das jedenfalls behauptet ein Prinz Mario-Max zu Schaumburg-Lippe, der auf Astro-TV „Prince“- und „Princess“-Parfums verkauft. Eleganz, Respekt, Anerkennung und Macht, so meint er, sind dem Käufer mit diesem „Flakon königlicher Träume“ sicher. Fast hundert Jahre nach Abschaffung des Adels in Deutschland scheint dieser also noch eine gewisse Faszination auszuüben. Allen voran auf Menschen wie Mario-Max selbst, der als Mario-Helmut Wagner geboren durch Adoption an seinem „Prinz“ im Namen kam. Mehr als der Bestandteil eines Namens, ein Titel gar, ist das nicht, denn auch die wurden mit der Weimarer Reichsverfassung 1919 abgeschafft. Macht es also Sinn, staubig anmutende Begriffe wie Ehre und Haltung des zeitgenössischen Adels in Deutschland zu erörtern, obwohl es den gar gibt? Wenn ja, dann deshalb, weil eine Idee vom Adel weiter besteht. Diese ist mitunter nicht ohne Komik und zuweilen gar schizophren. „Ein Adliger wird zur großen Hoffnung der Deutschen“, schrieb der Spiegel in einer Titelgeschichte 2010 über den „Bürgerkönig“ Karl-Theodor zu Guttenberg, so als sei „Adeliger“ gleichzusetzen mit „Alien“. Um das Phänomen der außerordentlichen Beliebtheit Guttenbergs zu beschreiben, wurde oft der Adel bedient. An der Herkunft des Barons, an seiner Haltung, den alten Werten musste es liegen! Man ließ sich aus über „Stärken, die aus dem Schloss kommen“, und nannte in diesem Atemzug Tugenden wie Unabhängigkeit und Haltung. Die gleiche Erklärung musste dann auch für Guttenbergs desaströse Doktorarbeit inklusive Rücktritt und in diesem Zusammenhang unterstellte charakterliche Mängel herhalten. Am Adel lag es! Der nehme sich eben einfach, was er wolle, und habe ja auf Leistung ohnehin nie Wert gelegt. Am Beispiel Guttenbergs wird deutlich, wie emotional und scheinbar widersprüchlich das Interesse an den langen Nachnamen häufig ist: neugierig und bewundernd, neidisch und missgünstig; oft in nur auf den ersten Blick gegensätzlich anmutender Kombination. 

Bühne der Gernegroße

Der Wahrnehmung, dass es Adelige in Deutschland nicht mehr gibt, steht die Selbst- und Fremd-Inszenierung mancher Langnamigen im Wege. Ob Prügelprinzen, Prinz Foffis halbnackter Fast-Prinzessin, TV-Formaten wie „Graf sucht Gräfin“ oder „Reich und schön“: Vermeintlicher Glitzer und Glamour gepaart mit Skandälchen ergibt eine saftige Mischung, die Quote garantiert. 

Das öffentliche Bild vom Adel wird zugleich reflektiert und geprägt von den Ideen, die manche Neuzugänge davon haben. Da sind jene, die nach ihrer Heirat ihren neuen Namen zur medialen Vermarktung nutzen, wie etwa Maja Prinzessin zu Hohenzollern. Die geborene Frau Meinert ist für Events als Prinzessin inklusive Krönlein anzumieten, wo sie mit einem Herrn in Melone auftritt, der sich, als sei man bei Hofe, ihr „Protokollchef“ nennt. Offensiv vermarkten sich auch „Adoptierte“ wie der eingangs erwähnte Mario-Max. Dabei ist natürlich allein die Tatsache, dass solche Adoptionen manchen Menschen viel Geld wert sind, bemerkenswert. Der Grund sei schlicht und ergreifend: „Als Fürstin lebt sich’s besser.“ So zumindest ist der Titel des Buches der adoptierten Fürstin Andrea von Sayn-Wittgenstein. Mit ihrem neuen Namen sei sie häufiger auf Events eingeladen, schreibt sie. Einladungsdichte als Gradmesser für Lebensqualität. Ihr Mann, Karl-Heinz Richard Fürst von Sayn-Wittgenstein, von der Presse auch liebevoll „Immobilienfürst“ genannt, moderiert, betreut – wie soll man es nennen? – auf Kabel 1 eine Reality Soap, in der er im Goldknopf-Blazer mit Einstecktuch durchaus sympathisch mit Kraftausdrücken durchsetzte Immobilienberatung macht. Die Sendung sei hiermit wärmstens empfohlen, sie ist definitiv das humorvollste Format, das im deutschen Fernsehen geboten wird. 

Dem Namen Ehre machen

So durchschaubar solches Verhalten für vernunftbegabte Menschen sein mag, so verzerrt es doch im besten Fall das öffentliche Bild vom sogenannten Adel. Es verfestigen sich Klischees, die viele Träger ehemals adeliger Namen mit Grauen erfüllt. Sie, die bescheideneren Vertreter dieser Familien, sind aufgrund ihrer Medienscheue der weniger sichtbare Gegenentwurf zu diesen Klischees.

Die große Heterogenität des ehemaligen Adels macht es unmöglich, ein umfassendes Bild seiner aktuellen Situation zu geben. Schon vor der Abschaffung der Monarchie waren viele adelige Familien verarmt und der Kreis einflussreicher Großgrundbesitzer oder Offiziere unter ihnen überschaubar. Zu Zeiten der Weimarer Republik machte der „Adel“ etwa 90.000 Personen aus. Es war, so der Historiker Stephan Malinowski, eine regional, konfessionell, adelsrechtlich und sozial überaus unterschiedliche und komplexe Gruppe. Im Zweiten Weltkrieg verloren viele Adelsfamilien Haus, Hof und Patriarchen, dadurch zerfielen Strukturen. Notgedrungen ergriff man, was man bisher als bürgerliche Berufe verstanden hatte, gliederte sich weiter in die Gesellschaft ein und begann, auch außerhalb des ehemaligen Standes zu heiraten. 

So passte sich der Adel der „bürgerlichen“ Lebensweise und Mentalität an, übernahm dessen Ausbildungskriterien und Leistungserwartungen. Was ist darüber hinaus übrig geblieben vom ehemaligen Standesdenken? Welchen Stellenwert haben Werte wie Familienehre und Haltung? Sicherlich haben diese in der klassischen aristokratischen Erziehung eine große Rolle gespielt. Die Familie war, im Gegensatz zum Individuum, von kaum zu übertreibender Bedeutung. Sie ist in adeligen Familien traditionell weit gefasst, bis hin zu den Vettern x-ten Grades. Die Ehre der Familie sicherte Status und Macht. Deshalb war es so wichtig, dass die Mitglieder dem Namen Ehre machten. Auch wenn heute die Macht nicht mehr unmittelbar an die Ehre gekoppelt ist, so ist Familie in der „adeligen“ Erziehung nach wie vor ein zentrales Element. Traditionell verstanden steht man dem geerbten Namenszusatz und damit den vorangegangenen Generationen des eigenen Geschlechts gegenüber in der Schuld. Man steht mit seinem Handeln nicht nur für sich, sondern ist Glied einer Kette. Die Vorväter sind durch das eigene Wirken zu ehren, und ihr gedankliches und materielles Erbe ist für die nachfolgenden Generationen zu wahren. Hierzu sei erwähnt, dass die Familie quer durch die deutsche Gesellschaft wieder an Bedeutung gewinnt, der Familienzusammenhalt wieder stärker wird. Auch die mit dem Generationenkonflikt der Nachkriegszeit einhergehende Abkehr von bürgerlichen Werten hat sich gewandelt. Heute sagen laut dem Institut Allensbach 89 Prozent der Westdeutschen – und damit mehr als in den sechziger Jahren – es sei wichtig, Kinder zu Höflichkeit und gutem Benehmen zu erziehen. Auch Tugenden wie Fleiß, Sparsamkeit und Leistungsbereitschaft erleben eine Renaissance. 

Die Rolle des Glaubens

Die Erosion des Glaubens als Erziehungsziel setzt sich hingegen weiter fort. In ehemals adeligen Familien ist dieser Trend weniger zu spüren. Auch heute noch spielt der Glaube oft eine wichtige Rolle. Man engagiert sich in religiös-karitativen Einrichtungen und unternimmt in Jugendgruppen Wallfahrten nach Lourdes. Ob aus Religiosität oder Tradition: Eine „adelige“ Hochzeit oder Taufe ohne kirchliche Zeremonie ist selten. Das Gottvertrauen ist auch ein Leitgedanke, um das eigene Schicksal anzunehmen und demütig zu bleiben. 

Natürlich wird diese Erziehung heute mal weniger, mal stärker gelebt. Die individuelle Glücksfixierung unserer Gesellschaft ist überall stark ausgeprägt. Doch die alten Tabus über eigene Nabelschau bestehen durchaus bis heute. So gilt es als ein Fehlen von Contenance, über Krankheit oder (egal ob fehlendes oder vorhandenes) Geld zu lamentieren. Auch wenn man sich daran nicht streng hält, so hat dieses Denken doch auch etwas Befreiendes. Wenn man seinem eigenen Glück keine große Bedeutung einräumt, dann kann auch das Unglück nicht zu große Bedeutung erlangen. Ein verlockendes Konzept. Mit diesem Verständnis von Haltung einher geht auch ein gewisser Jargon. Weil man sich selbst nicht so wichtig nehmen soll, bedient man sich einer Selbstironie und Untertreibung. Angeberei und Protz hingegen gelten als neureich und verpönt, was natürlich praktisch ist, wenn man sich Protz mangels Mittel ohnehin nicht leisten kann. Aber da könnte ja vielleicht das Raumspray „Reichtum Royal“ aus der Serie unseres Max-Mario-Prinzen Abhilfe schaffen. Zusammen mit der „Aktivier-Kerze Reichtum“ und dem „Geldmagnet-Öl“ soll es die persönliche „Reichtumsenergie“ freisetzen. Die adelige Welt jedenfalls, so sagt der Prinz, der übrigens auch über angeborene hellseherische Fähigkeiten verfügt, sei begeistert von der „fürstlichen Sensation“.

Anna  Bayern
Anna von Bayern ist Politikredakteurin der "Bild am Sonntag". Sie veröffentlichte "Karl Theodor zu Guttenberg, Aristokrat, Politstar, Minister" (Fackelträger-Verlag, 2010) und "Wolfgang Bosbach. Jetzt erst recht! Die Biografie", (München: Heyne 2014). www.fackeltraeger-verlag.de