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Schwerpunkt Energiewende

Die Energiewende braucht freien Fortschritt

Die im Zuge der Energiewende geplante Errichtung von gewaltigen Stromtrassen quer durch Deutschland ist das große innenpolitische Thema dieses Frühjahrs. Zu diesem Thema äußern sich Kritiker dieses Vorhabens über ihre Bedenken und zu möglichen Alternativen.

Ursula Weidenfeld15.05.2014

Es war ein sonniges Wochenende, Anfang April in Berlin, und es wehte ein leichter Wind. Später sollten die Energieunternehmen melden, dass an diesem Samstag in Deutschland rund 1,15 Terawattstunden Strom verbraucht wurden. Rund zehn Prozent davon kamen aus regenerativen Energien. Nicht schlecht für einen lauen Frühlingstag, immerhin.

Eigentlich also ein guter Tag für die Grünen. Doch die Partei, deren Gencode im Wesentlichen aus den Wörtern Atomausstieg, Windrad und nachhaltig besteht, versinkt in Depression. Sie weiß nicht, wie es weitergehen soll. Sie sorgt sich, weil es keine gute politische Geschichte gibt, die man heute noch über die Energiewende, das Klima und die Bewahrung der Schöpfung erzählen kann. Sie zankt, weil der Klimaschutz ohne Verzicht nicht zu haben sein wird – man sich aber geschworen hat, auf keinen Fall wieder mit Steuererhöhungen oder einem „Veggie-Day“ anzufangen. Die Grünen sind ratlos.

Die deutsche Gesellschaft plagt weniger Ratlosigkeit als Angst. Sie zittert allerdings nicht davor, keine guten Geschichten über die deutsche Energiewende mehr zu hören. Die Deutschen fürchten vielmehr weiter steigende Strompreise, den Neubau gewaltiger Stromtrassen quer durch das ganze Land, und rigide Wärmeschutzauflagen für Einfamilienhäuser.

Und sie haben recht. Denn die Möglichkeiten, dieser Entwicklung gegenzusteuern, schrumpfen. Die einseitige Förderung des Stromsektors in den vergangenen Jahren hat nicht nur Probleme für den Strompreis und die Netzstabilität gebracht. Sie hat, schlimmer noch, den technischen Fortschritt umgeleitet. Statt in einem offenen Markt um die beste, preiswerteste und klimafreundlichste Lösung für alle Arten von Energieerzeugung und -verbrauch zu wetteifern, hat sich der Ehrgeiz der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in den vergangenen Jahren allein auf den Strom konzentriert, und hier auf die erneuerbare Energie. Hier gab es die meisten Subventionen, hier wurde das meiste Geld verdient.

In diesem Bereich waren die Ingenieure bemerkenswert erfolgreich. Neuartige Solarzellen erreichen im Labor schon einen Wirkungsgrad von über 40 Prozent – in der Fläche werden derzeit auch schon ansehnliche 15 Prozent erreicht. Das ist, verglichen mit dem Start vor zwanzig Jahren, eine Revolution. „Repowering“ hat auch die Windmühlen auf Vordermann gebracht. Größere und leichtere Anlagen auf höheren Masten sorgen für mehr Ausbeute, auch an mittelmäßigen Windstandorten lassen sich heute Windparks geschäftlich erfolgreich betreiben – wenn entsprechend aufgerüstet wird. Und bei der Biomasse bringt eine Tonne Maissilage, die heute in die Gärbrühe moderner Biogasanlagen gekippt wird, doppelt so viel Energie wie eine, die in einer alten Anlage verwertet wird. Bei Zählern, Batterien und Motoren sind die Fortschritte zwar langsamer, aber immerhin: Es gibt sie.

INSTABILE STROMVERSORGUNG

Doch geholfen haben sie dem Klima nicht. Die rot-grüne Regierung von Gerhard Schröder, die das erste Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg brachte, hatte zwar den Anspruch formuliert: Der neue Weg soll das Klima schützen, die Versorgung mit stabiler Energie gewährleisten, den Atomausstieg absichern, und Strom bezahlbar halten. Doch in den vergangenen beiden Jahren ist Deutschlands CO2-Ausstoß wieder gestiegen, die Stromversorgung wird immer instabiler, und teurer wird sie auch. Atomstrom wird nun bei Engpässen aus Frankreich importiert, konventionelle moderne Gaskraftwerke gehen vom Netz, weil sie sich nicht mehr lohnen. Neue werden erst gar nicht mehr gebaut.

Denn im Bereich der fossilen Energien tut sich fortschrittstechnisch kaum noch etwas. Obwohl Öl, Gas und Kohle immer noch mit über 50 Prozent an der Stromerzeugung beteiligt sind, und im Wärmemarkt und beim Verkehr eine noch größere Rolle spielen, gehört keines der großen Energieunternehmen Deutschlands – RWE, EnBW, Eon, Vattenfall –zu den 20 forschungsstärksten Unternehmen des Landes. Das ist konsequent. Wer selbst neueste Gaskraftwerke vom Netz nehmen muss, weil er nichts mehr damit verdient, der stellt seine Forschungen in dem Bereich ein. Auch die Forschungsförderung ist kein Anreiz: Wer fossile Energieträger für Teufelszeug hält, verspürt wenig Neigung, für die Restlaufzeit öffentlich geförderte Innovationen zu bezahlen. Der Fortschritt kommt zum Erliegen.

 Dabei ist allen Parteien klar, dass Gas, Öl und Kohle zumindest in den kommenden vierzig Jahren noch eine bedeutende Rolle spielen werden. Ohne gewaltigen technischen Fortschritt in diesem Bereich der Energiewirtschaft, und beim Verbrauch erneuerbarer wie fossiler Energie, wird die Energiewende scheitern. Doch weder interessieren sich die Energiepolitiker besonders für die Umwandlung nicht genutzten Stroms in Wärme, noch fällt ihnen etwas Besseres ein, als Häuser in dicke Dämmschichten zu verpacken, wenn Energie gespart werden soll.

Hier rächt sich die politische Fixierung auf die Stromerzeugung und auf das Inland bitter. Zwar hält auch die Bundesregierung den Wärmeverbrauch für eine der größten Energiesparquellen. Sie will die Hausbesitzer alter Häuser stärker in die Verantwortung nehmen, damit Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Doch wie das gehen soll, weiß niemand. Stattdessen schreiben Politiker den Immobilieneigentümern immer neue Grenzwerte vor – sie sagen ihnen aber nicht, wie man beispielsweise den Altbaubestand energieeffizient sanieren kann, ohne Schimmel, Feuchtigkeit und andere hässliche Nebenwirkungen in Kauf nehmen zu müssen.

SCHWIERIGE KUNDEN

Wahr ist: Es interessiert auch nicht besonders viele Unternehmen. Die Kunden sind schwierig – Wärmedämmung ist zwischen Vermietern und Mietern immer ein heiß umstrittenes Thema – und der Markt ist kompliziert. Die großen Wohnungsbaugesellschaften investieren zwar, aber die Millionen kleinen Vermieter und Hauseigentümer tun es nicht, auch weil die Förderung unklar ist – einmal gibt es Kredite, ein andermal gibt es keine. Als der Oberbürgermeister von Weimar sich unlängst erkundigte, was er denn mit seiner denkmalgeschützten Altstadt anfangen solle, wenn die Klimaauflagen für Wohnungsgesellschaften schärfer werden, zuckten die Experten ratlos die Achseln.

Dabei ist die Heizung von Wohngebäuden nur eines – wenn auch eines der größten – Themen der Energiewende. Auf den Prüfstand müsste die Wärmeversorgung, die Stromverwendung insgesamt. So leistet sich Deutschland zwei parallele Stromerzeugungssysteme, von denen die erneuerbaren gelegentlich gewaltige Überschüsse produzieren. Dafür wird der konventionelle Kraftwerkspark nach Bedarf, und mit teuren Nebenkosten, hochgefahren oder abgeregelt – die erneuerbare Energie hat Einspeisevorrang, und liefert deshalb immer und unbegrenzt, wenn die Sonne scheint und der Wind weht.

Würde überschüssiger regenerativer Strom systematisch in Wärme umgewandelt, für Häuser, für die Industrie, wäre wenigstens ein Teil dieses Überflusses sinnvoll genutzt. Dafür aber fehlt auch hier der technische Fortschritt – was aus dem einmal eingespeisten Strom wird, interessiert die Erzeuger der erneuerbaren Energien nämlich schlicht bisher nicht. Erst mit dem neuen Gesetz aus dem Haus des Wirtschaftsministers soll ihnen erstmals auch eine Verantwortung für die Vermarktung ihres Produktes gegeben werden. Die strombesessenen Energiepolitiker selbst aber verlieren ebenfalls sofort ihr Interesse, wenn aus Strom Wärme werden soll. Die Folge: zu wenig Innovation in dem Bereich, der ein riesiges Potenzial hat. Die „Power-to-Heat“-Forschung fristet immer noch ein Inseldasein.

Die Konzentration auf Strom, Strom und nochmal Strom schließt zudem einen riesigen Bereich aus, der zu Klimaschutz und Energiesparen viel beizutragen hätte: den Verkehr. Im Autoland Deutschland von den Effizienzreserven des Verkehrssektors zu reden, nimmt nicht nur die Autoindustrie übel. Auch die Bundesregierung steht bei dem Thema beherzt auf der Bremse. Lieber soll der Fortschritt auch einmal Pause machen, wenn er stört.

DIE FRAGE NACH DEM GROSSEN WURF

Ganz zum Erliegen gekommen ist außerdem der deutsche Forscherehrgeiz bei der Kernenergie. Wer will schon seinen Intellekt in ein Wissenschaftsfeld investieren, das niemand mehr will? Sechs Lehrstühle für Nuklearphysik gibt es an deutschen Hochschulen heute noch, doch sogar die exzellente TU München kann die Hauptfachstudenten, die das Fach neu wählen, inzwischen an zwei Händen abzählen. Die Professoren verweisen auf andere Anwendungsbereiche, auf das Ausland, auf die Aufgaben, die beim Abwickeln der deutschen Atomkraftwerke noch über Jahre hin entstehen, und doch ist klar: Hier werden Rückzugsgefechte geschlagen. Mittelfristig verliert Deutschland so den Anschluss an die internationale Forschung.

Dabei weiß niemand, aus welchem Bereich der wirklich große Wurf kommen könnte, damit die Energiewende gelingt. Nur Deutschland hat sich festgelegt: Der Fortschritt muss aus dem Strombereich kommen. Und zwar bis spätestens zum Jahr 2022, wenn das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen soll.

Klappt das nicht, hat die Bundesrepublik immer noch mehrere Optionen. Man kann sich wieder auf Kohle und Gas verlassen. Oder die alten Atomkraftwerke länger laufen lassen. Und mehr Atomstrom aus den Nachbarstaaten importieren, die in neue Anlagen und auch in die nukleare Forschung investiert haben. Und man kann Klimaschutzinvestitionen in anderen Ländern unterstützen – in den sich rasch entwickelnden Staaten in Asien und Lateinamerika kann man mit demselben Geld in Sachen Klimaschutz viel mehr erreichen als in Deutschland.

Nur: All das hat nichts mehr mit der großen Geschichte von der Energiewende zu tun, nach der die Grünen so verzweifelt suchen. Es zeigt nur, wie man ein durchaus ehrenwertes Ziel durch permanente Eingriffe, Reglementierungen, Subventionen und politische Steuerung ruinieren kann. Der Fortschritt findet nicht da statt, wo ihn eine Regierung verordnet. Er findet da statt, wo er will – wenn man ihn lässt.
Ursula Weidenfeld
Dr. Ursula Weidenfeld war stellvertretende Chefredakteurin des „Tagesspiegel“, Gründungsredakteurin der „Financial Times Deutschland“ und Chefredakteurin der Zeitschrift „impulse“. Seit 2009 ist sie freiberufliche Journalistin und Moderatorin. www.das-tut-man-nicht.de

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