https://rotary.de/gesellschaft/tiefe-gruene-stille-a-18504.html
Titelthema

Tiefe grüne Stille

Titelthema - Tiefe grüne Stille
Peder Mönsted Sommer im Spreewald, 1912 (Öl auf Leinwand) Der Däne gilt als einer der bekanntesten internationalen Landschaftsmaler um die Jahrhundertwende. Die Kombination von Wald- und Flusslandschaften war sein bevorzugtes Motiv. Die freie Sicht auf das umliegende Land ermöglichte ihm die Darstellung weitläufiger und atmosphärischer Kompositionen. © AKG-Images, blickgewinkelt

Im Sommer wird es voll im Spreewald, aber in der Nebensaison, und speziell im Winter, erlebt man den Zauber dieser alten Kulturlandschaft viel intensiver.

Inka Chall01.08.2021

Wer einmal im Spreewald war, für den ist diese Erinnerung vermutlich diejenige, die sich am stärksten eingebrannt hat: die tiefe grüne Stille des Spreewaldes, vielleicht noch das leise Plätschern beim Eintauchen des Rudels, mit dem der Kahn durch den Spreewald gestakt wird. Denn das ist sicher: Wer in den Spreewald fährt, kommt um eine Kahnfahrt nicht herum.

Wieder einmal bin ich für ein Wochenende vor Ort, dieses Mal im Januar. Kenner wissen, dass der Spreewald im Winter nicht nur eine ganz eigene Magie hat, man findet dann auch die gesuchte Ruhe. Im Hochsommer ist der Ansturm mittlerweile dermaßen groß, dass einsame Ecken schwer zu finden sind. Die Nebensaison ist optimal für Einsteiger und beginnt bereits im April. Im Winter hingegen hat zwar vieles geschlossen, dafür gibt es auf den wenigen Kahnfahrten Glühwein und umso lustigere Geschichten der Fährleute, die nicht nur von den vielen Fabeln und Sagen des Spreewaldes erzählen, sondern sich auch über manche begriffsstutzigen Touristen auslassen, welche mit ihren Stand-up-Paddleboards in die Gärten der Spreewälder einfallen, weil sie nicht verstanden haben, dass die Orte in dieser Region entlang der Wasserstraßen angelegt sind und rechts und links der Fließe kein öffentliches Ufer, sondern Privatgrundstücke liegen.

Die wild gewordenen Ochsen des Teufels

Früh am Morgen schäle ich mich aus dem dicken Federbett im Hotel Strandhaus in Lübben. Ein kurzer Gang direkt vom Hotel über die Brücke zur Spreelagune, schon bin ich raus aus dem Ort und laufe zwischen Hauptspree und Ragower Hauptvorfluter an Feldern entlang durch den leuchtenden Morgennebel, der einen schönen Wintertag verspricht. Der Spreewald ist kein Urwald oder Naturdenkmal, sondern eine über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft, auch die meisten Fließe sind früher zur Entwässerung künstlich angelegt worden. Nur die wild gewordenen Ochsen des Teufels, so heißt es, haben hier die allerersten Fließe angelegt, als sie das Feld pflügen sollten.

Zu bewahren sind also nicht nur Flora und Fauna, sondern auch die Besonderheit der traditionellen Bewirtschaftung inmitten einer feuchten und ehemaligen Moorlandschaft. Es ist still, auffallend still im Hochwald: Die meisten Vögel finden aufgrund der Bodenfeuchtigkeit keine optimalen Bedingungen vor, dafür lassen sich Fischotter, Biber, in den 1990er Jahren ausgesetzte Nutrias, Libellen, Schnecken, Muscheln, Fischadler und diverse Fische häufig blicken.

Die 1990 angelegten Schutzzonen, die die Umnutzung einiger landwirtschaftlicher Flächen erforderte, stoßen nicht nur auf Gegenliebe. Regelmäßig muss entsprechend zwischen den Interessen der Bewohner und den Wächtern des Reservats vermittelt werden.

Am Mittag genieße ich eine Kahnfahrt und ignoriere wie üblich die kleinen, ziemlich altbacken anmutenden Schnapsfläschchen, welche tatsächlich immer noch traditionell im Körbchen unter den Sitzbänken stehen. Dafür hat sich das Durchschnittsalter in den letzten Jahren verjüngt und es hat sich herumgesprochen, dass eine Kahnfahrt ab zwei Stunden den Yogakurs einer ganzen Woche ersetzt, was das Entspannungslevel angeht.

Traditionen für Touristen

Anschließend geht es ins Modeatelier Wurlawy. Der Name entstammt dem Sorbischen, bedeutet so viel wie „wilde Spreewaldfrauen“ und ist hier Programm: Die alten Spreewaldtrachten werden von Sarah Gwiszcz modern interpretiert. Neben vielen Libellen-Mustern und traditionellem Blaudruck ist der Totenkopf ein beliebtes Motiv. Der Laden brummt, sie hat viel zu tun und sucht nach neuen Näherinnen. Wenn man sich mit der jungen Designerin unterhält, wird deutlich, dass all das, was man zuvor vielleicht inka chall studierte Afrika- und Kulturwissenschaften sowie Technische Kommunikation. Über den Spreewald hat die freie Autorin zwei Reiseführer veröffentlicht. für Touristen-Folklore gehalten hat, tatsächlich mit den Einheimischen eng verbunden ist. Natürlich ist der Kahn nicht mehr das Fortbewegungsmittel Nummer eins, und die wenigsten leben heute noch im typischen Blockbohlenhaus. Doch die Touristen sind offensichtlich die beste Ausrede, die alten, häufig längst von der Moderne überholten Traditionen weiterzuführen und das Erbe in Teilen zu bewahren: die alten Trachten, die sich von Ort zu Ort unterscheiden. Die gemächliche Lebensweise (die Kahnfahrt beginnt, wenn der Kahn voll ist). Die sorbische Kultur, die sich in den Namen, Straßenschildern und sorbischen Festen zeigt. Die alten Erzählungen und Geschichten, zum Beispiel vom Schlangenkönig, der noch heute auf vielen Dächern verewigt ist und das Haus beschützen soll. Und natürlich: Das lange Rudel aus Eschenholz, welches fast lautlos ins Wasser taucht und den Kahn stetig vorwärtsschiebt, in die tiefe grüne Stille des Spreewaldes.


Städte

Lübben
Sehenswert ist die spätgotische Paul-Gerhardt-Kirche, benannt nach dem Liederdichter, dessen letzte Wirkungsstätte sich hier befand.

Lübbenau
In Lübbenau lohnt sich ein Spaziergang durch die im englischen Landschaftsstil angelegte Schlossanlage.

Ausflugstipps
Spreewelten Bei schlechtem Wetter ab in das Erlebnisbad in Lübbenau. Man kann dort gemeinsam mit Pinguinen schwimmen, nur durch eine durchsichtige Scheibe getrennt.

Besucherbergwerk F60
Hier in Lichterfeld gewinnt man nicht nur einen Einblick in den Braunkohleabbau. Man kann auch einen gigantischen Bagger, 502 Meter lang, 202 Meter breit und 80 Meter hoch, besteigen.