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Der US-Wahlkampf – Menetekel für die Bundestagswahl 2021?

Forum - Der US-Wahlkampf – Menetekel für die Bundestagswahl 2021?
Der Ton wird schärfer: Trump-Anhänger beschimpfen Gegendemonstranten bei einer Wahlkampfveranstaltung Ende August in Londonderry, New Hampshire. © Brian Snyder / Reuters

Nur auf den ersten Blick verbindet die US-Präsidentschaftswahl nichts mit der Bundestagswahl. Doch es gibt Parallelen, und die Systeme drohen, sich weiter anzunähern

Markus Karp01.10.2020

Die US-Präsidentschaftswahl wird am 3. November stattfinden. Eine zwischenzeitlich diskutierte Verschiebung wird es nicht geben. Selbst wenn sie wegen des Pandemiegeschehens sinnvoll wäre, würde sich wegen der verhärteten Fronten und taktischer Vorbehalte der beiden wahlkämpfenden Lager kein anderer Termin mehr finden.

Voraussichtlich wird zehn Monate später die Wahl zum deutschen Bundestag stattfinden. Der September 2021 gilt als wahrscheinlicher Wahlmonat. Denn die regierende Koalition erweist sich als robust, obwohl ihr Start als von Anfang an moribunde Notgemeinschaft anderes vermuten ließ.

Auf den ersten Blick scheinen die Unterschiede zwischen den beiden Wahlgängen deutlich größer als ihre Gemeinsamkeiten. Während in den Vereinigten Staaten die Spitze der Exekutive gewählt wird, ist es in Deutschland die Legislative. Das Verhältniswahlrecht diktiert den Parteien und Kandidaten gänzlich andere Strategien als das angelsächsische Mehrheitswahlrecht. Naturgemäß ist auch das Parteiensystem ein völlig anderes. Absehbar ist, dass die Themen andere sind. Während in den USA das Verhältnis zur zweiten Supermacht China, Identitätspolitik, Rassismus und Meinungsfreiheit sowie die Corona-geschädigte Wirtschaft im Vordergrund stehen, dürfte es bei der Bundestagswahl eher um den politischen Richtungsentscheid als solchen, das heißt die Koalitionsbildung, sowie Umweltpolitik und Europapolitik gehen. Indes wird bundesrepublikanische Themenkonjunktur immer volatiler, daher ist es fürs Orakeln zu früh. Deshalb aber keine Schlüsse aus dem US-Wahlkampf ziehen zu wollen oder ihn für die deutschen Verhältnisse als unerheblich abzutun, wäre verfehlt, denn bei genauerem Hinsehen finden sich viele Parallelen.

Digitalisierung des Wahlkampfs

Besonders augenfällig ist die Digitalisierung des Wahlkampfes. Das Zeitalter der Marktplatzkundgebungen und Infostände geht zu Ende. Das nach wie vor existierende Canvassing hat neben seiner Funktion als identitäts- und teamgeiststiftendes innerparteiliches Ritual vor allem die Aufgabe, der Selbstdarstellung in den sozialen Medien zu dienen. Denn hier können sich auch die hinteren Ränge als engagiert inszenieren und prominentere Politiker Basis- und Bürgernähe zur Schau stellen. Ähnliches gilt für Parteikundgebungen: Ohne digital-mediale Repräsentation dieser Aktivitäten wären sie längst eingestellt. Die neue Popularität von Demonstrationen fußt ebenfalls darauf, dass es einen Online-Resonanzraum für sie gibt. Politische Akteure sind hier aber nicht die treibenden Kräfte, vielmehr können sie nur hinterher- und mitlaufen und hoffen, dass sich das politisch auszahlt und nicht zur großen Peinlichkeit wird. Jenseits und diesseits des Atlantiks sind in diesem Jahr beachtlich viele Versuche von Politikern, sich bei einer Demonstration an die Spitze der Bewegung zu setzen oder zumindest ein Bad in der Menge zu nehmen, kläglich gescheitert. Entweder kam es in diesen Fällen zum Rückzug oder aber zur unwillkürlichen Verbrüderung mit Leuten, die der wahlentscheidenden politischen Mitte der Bevölkerung nicht zu vermitteln sind. Da auch die klassischen Medien längst im Internet daheim sind und ihre herkömmlichen Verbreitungswege an Relevanz verlieren, ist die Digitalisierung des Wahlkampfes Tatsache.

Der Trumpismus hat viel verändert

Eine weitere Parallele ist die harte Polarisierung der Gesellschaft zwischen urbanen Progressiven und suburbanen und ländlichen Strukturkonservativen. Hierzulande wird dieser harte Kontrast zwischen den Metropolen und abschätzig als „fly-over-states“ titulierten Regionen häufig recht schablonenhaft in einem simplifizierten Gut-böse-Schema gezeichnet. Das verstellt aber den Blick darauf, dass in beiden Lagern radikalere Stimmen stärker geworden sind, wohingegen die Mitte zerfasert. Populistische Ideen und Vereinfachungen sind im gesamten politischen Spektrum zu finden. Es wäre dünkelhaft zu glauben, in Deutschland sei dies viel anders. Die Lebenswelten sowie die politischen Präferenzen klaffen auch hier auseinander. Jedoch vermögen es die deutschen Parteien noch, diese Gegensätze zu überbrücken und als Klammer zwischen den Städten und der Peripherie zu fungieren. Noch.

Nichtsdestotrotz gibt es noch eine zweite Polarisierung, die sich nicht mit einer Links-rechts-Skala fassen lässt. Es ist der Gegensatz zwischen dem Establishment, welches den Status quo mit inkrementellen Schritten pflegen möchte, und den populistischen Herausforderern, die eine Zäsur anstreben. So existiert beispielsweise eine linke wie rechte Globalisierungsskepsis. Es werden hier zwar unterschiedliche Motive vorgetragen, aber Deglobalisierungsvorschläge aller Art sind nicht einem Lager allein zuzuordnen. Die Ergebnisse von Schutzzöllen und einer „Grenzsteuer“ auf nicht hinreichend umweltfreundliche Importprodukte sind im Prinzip die gleichen: das Einbremsen einer mit Unbehagen betrachteten Globalisierung. Auch eine auf dem Vormarsch befindliche Identitätspolitik fällt in diese Kategorie. Die einst politisch dominante soziale Frage wird überlagert von Diskussionen über Gruppenzugehörigkeit und positiver wie negativer Diskriminierung. Dieser geänderte Fokus lässt sich im amerikanischen Wahlkampf bereits in Reinkultur beobachten. Dies ist auch der Grund, weshalb die einstmals strikte politische Scheidelinie entlang der Positionen zu staatlichem Interventionismus, Geld- und Haushaltspolitik und dem Gleichgewicht von Markt und Staat seit Aufkommen des Trumpismus in Auflösung befindlich ist. Ein weit vorangeschrittenes Problem in den USA ist die Verrohung des öffentlichen Diskurses. Bürgerkriegsfantasien und gewalttätige Sprache sind in die professionelle Politik vorgedrungen. Mehrheitsentscheidungen, demokratische Spielregeln und Institutionen werden infrage gestellt und als fehlerhaft und unterwandert bezeichnet. Zur Problemanalyse gehört auch, dass dabei nicht nur in eine Richtung gezeigt werden darf.

Herausforderung für die Demokratie

Diese Tendenzen sind nicht auf die USA beschränkt. In vielen europäischen Ländern zeigen sie sich bereits sehr viel deutlicher als in der Bundesrepublik. Das Stabilitätspolster hierzulande sollte uns aber nicht in falscher Sicherheit wiegen, es ist abhängig von einer stabilen ökonomischen Situation, dem verbreiteten Empfinden, dass das System gerecht ist, und dem Vertrauen in die Effektivität demokratischer Spielregeln und Wahlen.

Die daraus resultierenden Aufgaben für die Parteien im anstehenden Bundestagswahlkampf gleichen der Quadratur des Kreises: Einerseits gilt es, politische Unterschiede aufzuzeigen, um den Eindruck einer homogenen Bundespolitik gar nicht erst entstehen zu lassen. Gleichzeitig muss jedoch die Fähigkeit zum politischen Kompromiss gewahrt werden. Die notwendige politische Zuspitzung darf sich nicht der Eskalations-, Block- und Filterblasenlogik der sozialen Medien unterwerfen, sondern muss diese durchbrechen. Im besten Fall mit einer sensibleren Regulierung ebendieser Medien. Schlussendlich muss die Demokratie so partizipativ gestaltet werden, dass sich nicht weite Bevölkerungskreise ausgegrenzt fühlen.

Es spricht nicht von hoher politischer Kultur, wenn man sieht, unter welchem Druck der jüngste Minimalkompromiss zum deutschen Wahlrecht gefunden wurde. Es wäre sicherlich sinnvoller gewesen, rechtzeitig eine nachhaltige Wahlrechtsstruktur auf den Weg zu bringen. Die demokratische Teilhabe stärkt das nicht. Auch das ist kein gutes Omen für die politische Kultur, die sich ähnlich zu verhärten droht wie in den USA.

Markus Karp

Prof. Dr. Markus Karp, RC Wolfsburg, forscht und lehrt an der Technischen Hochschule Wildau bei Berlin zu Public Management und zur Strategischen Unternehmensführung. Der Staatssekretär a.D. war Wahlkampfmanager von Christian Wulff und publiziert unregelmäßig im „Magazin Cicero“, im „Manager Magazin“ und in der „Welt“.

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